Ob Webstuhl, Fließband, Computer oder Roboter: Jede industrielle Revolution bringt Gewinner und Verlierer hervor und offenbart das Doppelgesicht des technologischen Fortschritts. Auch wenn die Auslöser und Auswirkungen verschieden sind: In ihren Grundmustern ähneln sich die Veränderungen und die Debatten darüber seit mehr als hundertfünfzig Jahren: Auf der Habenseite steht die Technologie, die das Leben besser macht, die mehr Wohlstand für alle, neue Berufsbilder und neue Entfaltungsmöglichkeiten bringt, auf der Sollseite dagegen Krankheit, Verarmung, Entfremdung, Abstumpfung, Entmündigung.

Wenn man die Natur nicht mit in die Bilanz einbezieht und den Blick auf die westliche Welt verengt, sind die Konten der vergangenen drei Revolutionen mit einem positiven Saldo geschlossen worden. Das Konto für die vierte Revolution ist gerade eröffnet und wir haben es in der Hand, auch dieses mit einem positiven Saldo abzuschließen. Aber ausgemacht ist das keineswegs. Vor allem aber lassen sich globale Zusammenhänge viel weniger ausblenden, als in den vorangegangenen drei Revolutionen.

Die Bedrohung durch die Maschine lässt sich in folgenden Themen verdichten (und unter Maschine sei hier auch ein Stück Software und dessen technische Infrastruktur verstanden):

Die Maschine dominiert den Menschen.

Maschinen prägen unseren Arbeitsalltag, der Mensch muss sich dem Rhythmus der Maschine unterordnen. Nur sind es heute nicht mehr das Fließband und die Schichtarbeit, die den Takt bestimmen. Unternehmen arbeiten viel vernetzter, die Wertschöpfung ist komplexer und differenzierter. Das erfordert andere Organisationsmodelle und -techniken. Immer schneller und individueller auf Änderungen reagieren zu können, entscheidet über den Erfolg. Agile Methoden, die in den 1990er Jahren für das Schreiben von Software entwickelt wurden, werden als Modelle für die Organisation und Zusammenarbeit innerhalb anderer Unternehmensbereiche eingesetzt. Veränderte Prozesse und Organisationsformen brauchen eine neue Kultur, ein anderes Verständnis von Führung und Verantwortung.

Es gibt nicht genügend Arbeit für alle.

Maschinen ersetzen menschliche Arbeitskraft. John Maynard Keynes sprach in den 1930 er Jahren von einer „technologischen Arbeitslosigkeit“. Wenn die Nachfrage nach menschlicher Arbeit zurückgeht, sinkt auch der Preis, der für sie gezahlt wird: Wer aber weniger verdient, kann auch weniger kaufen. Damit setzt der Siegeszug der Maschine eine Abwärtsspirale in Gang, die Wachstum und Wohlstand bedroht. Die These von Keynes hat kürzlich der Columbia Ökonom Jeffrey Sachs in seinem Artikel „Robotics: Curse or Blessing“ bekräftigt. Kritiker dieser Lesart argumentieren, dass auf längere Sicht in anderen Sektoren neue Jobs entstehen, die den Wegfall mehr als kompensieren und insgesamt mehr Wohlstand entstehen lassen. So konstatiert eine Studie des McKinsey Global Institute, dass durch Modernisierungsschübe in Deutschland viel weniger Menschen Dinge produzieren, die Beschäftigung insgesamt über einen längeren Zeitraum betrachtet aber gestiegen ist. Aber: Die neuen Jobs entstehen an anderen Orten und in anderen Sektoren Und auch die Autoren der McKinsey Studie stellen fest, dass Automatisierung die Ungleichheit der Einkommen verstärken kann.

Arbeit ist schlecht bezahlt, ungesund und macht krank.

Die erste industrielle Revolution löste die sozialen Bindungen der Großfamilie und Zünfte auf, die solidarisch für die Schwächeren aufkamen. An ihre Stelle trat der Wohlfahrtsstaat. Invalidität, Arbeitslosigkeit und Krankheit wurden in Deutschland über Versicherungen, in anderen europäischen Ländern über Steuern abgesichert. Als liberale, sozialdemokratische und konservative Varianten prägt der Wohlfahrtsstaat bis heute unsere westliche Welt. Helmut Schmid hat ihn einmal als „die letzte große kulturelle Errungenschaft der Europäer“ bezeichnet. Zwar ist die Arbeit heute in unseren westlichen Breiten weniger körperlich belastend oder gefährlich. Doch die Digitalisierung führt zu neuen Belastungsmustern: ständige Erreichbarkeit, Informationsflut, Überwachung. Die Art und Weise, wie digitale Technik zum Einsatz kommt, wird von einem großen Teil der Arbeitnehmer negativ empfunden. Mehr als die Hälfte der Befragten der DGB Studie „Gute Arbeit“ von 2017 berichtet, dass die Arbeitsmenge durch Digitalisierung zugenommen habe: Burnout-Syndrom, Depressionen und Angststörungen sind die Folge, die sich unter anderem in deutlich gestiegenen Leistungen der Kranken- und Rentenversicherungen niederschlagen. Doch ein wachsender Teil der Arbeitenden kommt nicht mehr in den Genuss dieser Absicherung. Denn die Zahl der freiberuflich Arbeitenden wächst stetig. Längst ist nicht mehr nur die Produktion, sondern auch ein großer Teil der Dienstleistungen weltweit verfügbar. Der Programmierer liefert aus der Ukraine, der Buchhalter aus Indien, der Texter aus Brasilien, der Projektmanager aus den USA, der Service Center Mitarbeiter aus Pakistan. Ein Blick auf das Portal Upwork gibt einen Eindruck davon, in welchem Umfang Dienstleistungen weltweit beschafft werden. Willkommen in der Gig-Economy.

Maschinen zerstören die Umwelt und bedrohen unsere Lebensgrundlagen.

Rauchende Schlote, stinkende Flüsse, sterbende Wälder: Die Zerstörungen der ersten industriellen Revolution waren für die Zeitgenossen unmittelbar spürbar. Dass Umwelt ein schützenswertes Gut ist, erkannte der Ökonom John Stuart Mill und forderte 1848, dass die Ressourcen unseres Wirtschaftens auch für künftige Generationen erhalten bleiben müssen. Zum ökologischen Aspekt ist in der Nachhaltigkeitsdebatte der soziale Aspekt hinzugekommen: hier geht es um Arbeitsbedingungen, Geschäftspraktiken, Personalpolitik und Verantwortung für die Lieferkette. Die von den UN eingesetzte Weltkommission für Entwicklung und Umwelt (Brundlandt Kommission) schuf in den 1980er Jahren ein Verständnis dafür, dass stabile Gesellschaften auf einem gleichberechtigten Verständnis von ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielen ruhen. Das daraus entstandene Drei Säulen Modell bildet bis heute den Rahmen, in dem die Nachhaltigkeit in Politik und Unternehmen verankert ist– so etwa in der ILO Grundsatzerklärung über Unternehmen in der Sozialpolitik oder der CSR Richtlinie (CSR-RUG), die deutsche Kapitalgesellschaften erfüllen müssen.

Die Muster ähneln sich, aber wir brauchen neue Antworten.

„Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“ Auch wenn er das wörtlich so nie gesagt hat: Die Redewendung ist so schön, dass sie Mark Twain als Autor verdient. Und sie trifft auch auf die Veränderungen der vierten industriellen Revolution zu. Die Muster ähneln sich, die Rahmenbedingungen und Aufgaben sind andere:

Mehr denn je ist der Diskussionsrahmen ein globaler. Unsere Welt ist vernetzter denn je, immer mehr Güter und Dienstleistungen lassen sich an vielen Orten erbringen. Es ist Zeit für eine Standortbestimmung des europäischen Wirtschafts- und Wertemodells: Zwischen den Plattformökonomien US-amerikanischer Prägung und dem staatlich geförderten Digitalisierungsmodell Chinas brauchen wir eine wettbewerbsfähige und die Grundrechte des Menschen achtende Position.

Die Diskussion um digitale Grundrechte – wie sie etwa in der Digitalcharta ihren Ausdruck findet – verdient einen Platz in der Nachhaltigkeits-Diskussion: Dazu sollte unter anderem die soziale Säule der Nachhaltigkeit um die Themenbereiche digitale Integrität, Datenschutz und künstliche Intelligenz ergänzt werden.

Der Wohlfahrtsstaat braucht ein Update auf die Version 4.0. Die Politik ist gefordert, Lösungen zu entwickeln, die den Veränderungen unserer Arbeitswelt gerecht werden und sowohl Angestellten als auch Selbständigen Rahmenbedingungen bieten, sich weiterzuentwickeln. Ob dies eine „Robotersteuer“, das bedingungslose Grundeinkommen oder die Bürgerversicherung leisten können, sei dahingestellt. Es geht darum, die Kernidee einer Umverteilung zur sozialen Absicherung auf die Veränderungen unserer Wirtschaftswelt zu adaptieren.

Unternehmen sind gefragt, ein Klima für die Veränderungen der vernetzten Welt zu schaffen und die notwendigen Veränderungen zu begleiten. Vor allem aber sollten sie bei der Betrachtung ihrer Wettbewerbsfähigkeit immer auch die Verantwortung für ihre Mitarbeiter im Blick haben.

Doch Unternehmer und Politiker werden es allein nicht richten. Jeder von uns liefert einen Beitrag für diese Transformation, egal ob er sie mitgestaltet oder abwartet. Es ist genauso wie mit der Kommunikation: Wie man nicht „nicht kommunizieren“ kann, kann man sich zur vierten industriellen Revolution auch nicht „nicht verhalten“. Denn es dürfte kaum jemanden geben, für den diese Veränderungen keine Relevanz haben.

Führungskräfte müssen ihre Rolle neu definieren. In unserer vernetzten Gesellschaft schwindet der Informationsvorsprung und damit auch dessen Steuerungsfunktion. Für Führungskräfte bedeutet dies, alte Verhaltensmuster, vor allem das Silodenken aufzugeben und neue Wege, Themen und Kanäle zu finden, um ihren Mitarbeitern Orientierung und Unterstützung zu geben. Und das in einer Geschichte mit offenem Ausgang.

„Angst essen Change auf“: Change Berater unterstützen Führungskräfte und Mitarbeiter dabei, die Veränderungen zu gestalten. Dies geht nur, wenn sie die Herausforderungen und Ängste verstehen, die die vierte industrielle Revolution mit sich bringt. Am besten lässt sich das Verständnis für die technologischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge über ein Netzwerk von Spezialisten sicherstellen. Gerade die explosionsartige Ausbreitung der digitalen Kanäle ordnet die Machtverhältnisse neu: Vom Anbieter zum Kunden, von der Führungskraft zum Mitarbeiter. Bestehende Hierarchien werden in Frage gestellt, die Kräfte verschieben sich. So kommt bei diesem Veränderungsprozess der Kommunikation eine wichtige Rolle zu. Im Zusammenspiel von Change Beratern und Kommunikationsexperten gelingt es, Lösungen zu entwickeln und Veränderungen zu vermitteln.

Dafür, dass wir auch das Konto der vierten industriellen Revolution mit einem positiven Saldo werden schließen können, trägt letztlich jeder von uns Verantwortung. Hier und jetzt werden die Spielregeln unserer künftigen Lebenswelt verhandelt. Wir sind gut beraten, uns mit den technologischen Veränderungen insbesondere durch künstliche Intelligenz, Robotics und Plattformökonomien zu beschäftigen, ständig dazuzulernen und eigene Antworten auf die Zukunft der Arbeit und der Grundrechte im digitalen Zeitalter zu finden.